Ex-Nationaltorwart Tim Wiese ist zu Gast in Berlin. Er posiert für die Kameras, zieht einen Schlitten mit Gewichten, gibt Interviews. Und erzählt dabei über seine Wrestling-Ambitionen.
I n Berlin neben dem Lidl in der Leipziger Straße wird ein Fitnessstudio eröffnet. Wer Bodybuilding im Moment an den Mann oder die Frau bringen will, der setzt am besten auf ein Pferd: Tim Wiese. Der war mal Fußballtorwart, ist jetzt aber durch seinen wundersam verwandelten Körper bekannt. Ein ehemaliger Kollege aus der Bundesliga sagte vor einigen Tagen über ihn, der Tim sehe aus ein Marshmallow Man. Egal. Wer Aufmerksamkeit sucht, in der Branche insbesondere, der setzt auf Wiese.
Die kleine Kette High 5 hat Tim Wiese jedenfalls an diesem Donnerstagvormittag engagiert. Um das Gym auf „Herz und Nieren zu checken“, wie der Moderator erst ins Mikrofon posaunt und dann ohne es locker weiterplaudert, weil das Mikrofon nicht so recht funktioniert. Er kann das, es ist Pierre Geisensetter, den die Romantischen aus der Show „Herzblatt“ kennen und die Hartgesottenen vom „Promiboxen“ bei RTL. Geisensetter ist nun aber Sprecher der Fitnesskette, körperlich auch recht gut beieinander, er und Tim Wiese geben also ein recht rundes Bild ab. „Wir haben den Mann hier, der momentan Hanteln schwingt wie kein anderer“, ruft Geisensetter, dieses Mal mit Mikrofon, es tut wieder seinen Dienst.
Tim Wiese ist da schon seit einiger Zeit in dem Studio, weißes Muskelhirt, graue Schlabberjogginghose. Im abgeschirmten Nebenraum hat er schon ein erstes Interview gegeben, Zutritt strengstens verboten. Es ist das erste von zig an diesem Tag, wo er meist das Gleiche sagt, aber er ist der Star, er kann sagen, was er will. Es sind zwar auch noch ein paar andere Sternchen da, Tanja Szewzcenko etwa (Film und Eiskunstlauf) oder auch Monica Ivancan (Roter Teppich und Autorin von „So bleiben Mütter fit und sexy“) und Mister Germany („Als Mister Germany muss ich immer auf den Punkt fit sein.“) Er heißt übrigens Robin Wolfinger. Aber es dreht sich hier meist um Wiese, seine Muckis und irgendwie ja auch um das Studio selbst. Wiese sagt: „Super Preis.“ 9,90 Euro im Monat, da kann wirklich keiner meckern.
Der Blick auf ihn sagt: Ja, er hat sich verändert. Ja, er ist nicht mehr der drahtige Torwart von einst. Aber so imposant, wie er auf den Bildern rüberkommt, ist er dann auch nicht. Die Tattoos auf seinen Armen sind jedenfalls noch nicht verzerrt vor lauter Muskelgebirge. Wiese sagt, er habe nun mal längere Armknochen bei 1,93 Meter Größe. Da wachsen die Muskeln nun mal nicht so schnell wie bei kürzeren Armknochen. Wiese sagt auch, es sei noch Luft nach oben. Am meisten gefalle ihm ohnehin sein Rücken.
Er muss nun ein bisschen an den Geräten pressen und drücken. Als die Prozedur abgeschlossen ist, wird ihm ein Glas Cola light gereicht. Ihm wird fortan ständig ein Glas Cola light gereicht, wo er geht und steht, eine beflissene Frau in schwarzer Kunstlederhose trägt es ihm sogar hinterher, wenn er mal wieder posen muss. Währenddessen springt die Schauspielerin Annabelle Mandeng ins Bild und macht ein Selfie mit ihm, und irgendwann ordert Wiese dann einen Proteindrink, er hat nun offensichtlich keine Lust mehr auf Cola light. „Mit Erdbeergeschmack?, fragt einer. „Jep“, sagt Wiese, „mit Erdbeer.“ Und geht dann einen Raum weiter, wo eine Art Schlitten mit Hantelscheiben auf einer Kunstrasenbahn steht. Wiese muss nun schieben, seine 121 Kilo bringen den 140-Kilo-Schlitten in Bewegung, und als er das Ende der Kunstrasenbahn erreicht, kreischt Monica Ivancan: „High Five.“
Frau Ivancan sagt, als Wiese es nicht hören kann: „Ich fand ihn als Torwart sexier, der hat mir jetzt zu viele Muskeln, vor allem im Nacken. Es ist aber viel Arbeit, so auszusehen wie Tim Wiese. Und wer als Frau einen Beschützertypen sucht, etwa für den Abend, da ist Tim Wiese der Richtige.“ Sie erzählt auch, sie habe den Eindruck, dass das Aufpumpen von Männer oft zulasten des Gemächts gehe, aber das nur am Rande: „Was rede ich hier eigentlich, ich rede mich doch um Kopf und Kragen, oder?“ Nun ja, das TV-Team von ProSieben hat weit mehr im Kasten, als es zu hoffen wagte. Sie klatschen sich ab. Tim Wiese sitzt da schräg neben Ivancan, etwa sechs Meter entfernt. Hinter ihm prangt ein Spruch im Graffiti-Style: „Be the machine“.
Das könnte auch Wieses Lebensmotto sein. Vom Mensch zur Maschine, von 90 Kilo auf 129 Kilo und dann in drei Wochen wieder auf nun 121 Kilo. „Mal schauen, ob wir im Herbst 135 oder 140 hinkriegen“, sagt Wiese. Mal gucken, was die Maschine noch so bringt. Wie? „Fressen!“, sagt er. Ein Kilo Fleisch, ein Kilo Reis, vier bis fünf Dosen Thunfisch, dazu Kohlehydrate in flüssiger Form und Eiweißdrinks. Kalorien satt. 30 Prozent Training, 70 Prozent Essen, das ist seine Bodyformel.
Wo das endet, wo er endet, lässt er auch an diesem Tag offen. Wer Wieses Einlassungen zum Thema Wiese in den vergangenen Monaten seiner Verwandlung ein wenig verfolgt hat, der erfährt von ihm nichts großartig Neues. Nur das: Er hat schon zwei Mal am Wrestlingtraining teilgenommen. Je drei Stunden. Aus dem einstigen Torwart könnte bald ein Wrestler werden, das lässt er durchklingen. The Show must go on, auch das ein Wiese-Motto. Vor einigen Tagen gestand er: „Wer das Rampenlicht einmal gewohnt ist, vermisst es auch irgendwie.“
Nun sagt er, dass er als Wrestler noch nicht mal Schauspielunterricht nehmen müsse. Wiese über Wiese: „Ein guter Schauspieler war ich schon immer.“ Aber das Training, oh weh: „Sehr schmerzhaft, brutal, nicht mit Fußball zu vergleichen, viel härter.“
Wiese ist nun am Ende. Zwei Stunden posieren und repräsentieren, das Studio und auch sich selbst. Ein massiger Mann mit merkwürdig leiser Stimme wurde da herumgereicht. Wiese steht im Mittelpunkt, er wird bestaunt, es wird über ihn getuschelt. Ein Kunstobjekt, längst mit normalen Maßstäben nicht mehr zu messen. Wir wissen, wer Tim Wiese war. Was er jetzt ist, wissen wir nicht. Er erinnert an einen Gorilla im Zoo, der kraftstrotzend und unbeirrt von den Gaffern am Zaun seine Kreise zieht und macht, was er will.
In den letzten Wochen hatten sich die Spekulationen bereits verdichtet. Nun trat das Ereignis tatsächlich ein. Tim Wiese, Ex-Torhüter der Fußball-Nationalmannschaft, betrat in Frankfurt am Main den Wrestling-Ring.
Die WELT als ePaper: Die vollständige Ausgabe steht Ihnen bereits am Vorabend zur Verfügung – so sind Sie immer hochaktuell informiert. Weitere Informationen: http://epaper.welt.de
Der Kurz-Link dieses Artikels lautet: https://www.welt.de/138809828