Sportmix: Nun heißt es: Holz statt Hantel - Sportmix - Verlagshaus Jaumann

2022-09-02 20:58:28 By : Ms. Laurel Zhang

Anfang 2019 im Bundesleistungszentrum in Leimen: Training. Eigentlich ist alles so wie immer. Tabea Tabel geht in die Knie, hebt die Hantel, macht den Ausfallschritt, stößt nach oben. Und plötzlich das komische Gefühl. Irgendetwas stimmt nicht. Sie spürt ein Bein nicht mehr. Es ist der Anfang vom Ende. Vom Karriereende. Ein schleichender Prozess. Schmerzen pflastern den Weg der deutschen Gewichtheber-Hoffnung.

Von Mirko Bähr

Lörrach. „Mir geht es bestens, alles super“, lässt Tabea Tabel am Freitag wissen. Sie sitzt auf dem Balkon ihrer Wohnung in Sandhausen. „Natürlich ist es schade, dass ich meine Karriere schon jetzt beenden musste. Aber es ist eben so. Das Leben geht weiter“, sagt die 24-Jährige. Die Hobby-Schlagzeugerin blickt optimistisch nach vorn. Im September beginnt sie eine Lehre als Schreinerin bei der Stadt Heidelberg.

„Mit Holz zu arbeiten oder Hanteln zu stemmen, das liegt nicht so weit auseinander. Da muss man exakt sein und filigran arbeiten. Da geht es um Kleinigkeiten. Eine Hantel muss perfekt über den Kopf gezogen werden und die Tischbeine sollten auch immer genau gleich lang sein“, erklärt Tabel.

15 Jahre lang bestimmte das Gewichtheben ihr Leben. Sie, die beim KSV 02 Lörrach die Liebe zu dieser Sportart entdeckte, von Trainer Mike Riesterer perfekt ausgebildet und schließlich zur großen deutschen Gewichtheber-Hoffnung wurde, lebte für diesen Sport. Und sie war erfolgreich. Nationale Titelträgerin, Europameisterin der Jugend in Litauen, Dritte der U-23-Europameisterschaften, Elfte bei der Elite-WM 2018 in Turkmenistan. Die zweimalige deutsche Gewichtheberin des Jahres war ein echtes Versprechen für die Zukunft und Olympiakandidatin. Schöne Erinnerungen gibt es zuhauf. „Wahnsinn, wohin wir überall reisten. Da waren interessante Länder dabei“, sagt Tabel. Ein Wettkampf in London hat sich da besonders ins Gedächtnis eingebrannt.

21. Oktober 2018. Ihr Geburtstag. Erstmals ist ihr Freund bei einem Turnier dabei. Und für Tabel klappt es wie am Schnürchen. „Sechs gültige Versuche. 99 Kilogramm im Reißen, 121 im Stoßen. Ein perfekter Tag“, erinnert sich Tabel. Diese 99 Kilogramm waren ihr persönlicher Rekord. Im Stoßen schaffte sie es dann sogar noch, ein Kilo draufzusatteln.

„Und da wäre noch etwas gegangen. Ich hatte ja noch ein paar Jahre vor mir“, ist sich Tabel sicher. Die 100 Kilo-Marke im Reißen, um die 130 Kilo im Stoßen. Damit wären EM-Medaillen drin gewesen, vordere Platzierungen bei der WM und bei Olympia.

„Es war eine schöne Zeit, die ich nicht missen möchte. Sie kann mir niemand mehr nehmen. Ich bin froh, diesen Weg eingeschlagen zu haben. Jetzt ist aber vorbei und es werden weitere schöne Abschnitte folgen“, lässt Tabel wissen. So optimistisch war sie anfangs nicht. „Es hat gebraucht, um mir nach dieser Verletzung einzugestehen, dass es im Gewichtheben nicht mehr weitergeht“, erklärt die 24-Jährige.

„Brutale Schmerzen“ pflasterten den Weg Tabels nach dem Bandscheibenvorfall im Training, der ganze sechs Monate später erst diagnostiziert wurde. „Es hieß immer, dass es nichts Schlimmes sei. Aber es ging nicht mehr.“ Sieben Ärzte später stand es dann fest und eine Operation im Raum. „Ich habe mich aber gegen einen Eingriff entschieden, schließlich bin ich jung und eine OP wäre nicht unkompliziert gewesen.“ Tabel wollte abwarten, hoffte, dass die Verletzung mit der Zeit verheile. An Gewichtheben war nicht mehr zu denken. Es ging jedoch um ein Leben ohne Einschränkungen. „Jetzt ist es wieder ziemlich gut“, stellt sie fest. „Wasserkisten tragen und Kniebeugen mit 15 Kilo-Gewicht gehen nicht, aber der Alltag funktioniert. Vorher konnte ich nicht einmal staubsaugen, Wäsche aufhängen oder mit Kopfkissen schlafen.“

Derzeit befindet sich die ehemalige Sportsoldatin der Bundeswehr noch im Homeoffice. Sie sitzt jetzt im Büro der Sportfördergruppe. Im September beginnt die Ausbildung zur Schreinerin. Darauf freut sie sich. Schon als kleines Kind, so erinnert sie sich, habe sie ihrem Vater geholfen, als dieser einen Hasenstall gezimmert oder einen Carport gebaut hat.

Die alte Liebe zum Holz flammte zu Beginn der Corona-Zeit wieder auf, als sie sich eine eigene Werkbank und Werkzeug anschaffte. Nun ist die 3D-Holzschnitzerei zu ihrer Leidenschaft geworden. „Bilder ins Holz zu fräßen, macht Mega-Spaß.“

So entwickelte sich der Berufswunsch. Sie klapperte telefonisch einige Schreinereien ab, erkundigte sich nach Ausbildungsplätzen. Bei dem einen oder anderen Betrieb war man gar nicht so erfreut, dass eine Frau am anderen Ende der Leitung war. „Da gab es abfällige Bemerkungen“, wundert sie Tabel. Davon aber ließ sie sich nicht aus der Spur bringen. „Mir ist das Wurst, sollen sie doch machen, wie sie denken.“

Ab und an schaut sie mit ihrem Freund in Lörrach bei ihren Eltern vorbei. „Es ist immer wieder schön, nach Hause zu kommen.“ Aber auch in Sandhausen fühlt sie sich heimisch. Auf dem Balkon pflanzt die Hobbygärtnerin Erdbeeren, Kartoffeln oder auch Knoblauch an, kümmert sich um ihre Katzen oder erkundet die Umgebung mit dem Fahrrad.

Und wie sieht es mit Gewichten aus? „Irgendwann, hoffe ich doch, dass ich mal wieder eine Hantel in die Hand nehmen kann.“

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