Der Kirchheimer Kugelstoßer Christian Zimmermann verlegt sich in diesen Zeiten aufs Krafttraining und sucht eine Wiese
Kirchheim – Neulich hat Christian Zimmermann trainiert – so lange, bis ihm ein Auto in die Quere kam. Am Ortsrand seiner Heimatgemeinde, dort, wo ein langer Asphaltweg zwischen Feldern hindurchführt, hatte der Kugelstoßer vom Kirchheimer SC seine acht Kilo schwere Trainingskugel ein ums andere Mal in einen Acker fliegen lassen, ehe er sich eine kurze Pause gönnte. Und während Zimmermann also durchschnaufte und zur Wasserflasche griff, kam plötzlich ein Ausflügler im Auto angerollt und parkte das Fahrzeug just an jener Stelle, die gerade eben noch ein imaginärer Kugelstoßring gewesen war.
„Ich habe nichts zu dem Mann gesagt“, erzählt Zimmermann. „Was hätte ich auch tun sollen?“ Ihm etwa mitteilen, dass hier im Grünen gerade einer der besten Kugelstoßer Deutschlands trainiert? Dass dieser Athlet – wie so viele Spitzensportler – zurzeit vor einem dichten Nebel aus Corona-Ungewissheit steht, nichtsahnend, wann er wieder trainieren, geschweige denn Wettkämpfe bestreiten kann? Und dass der Kugelstoßer, also er, doch eigentlich von Tokio träumen wollte und deshalb auch ein Urlaubssemester in seinem Studium genehmigt bekommen hat – als Vorbereitung für die Olympischen Spiele, wie es in der Begründung heißt?
Nein, all das wollte der 2,13-Meter-Hüne dem Fremden dann doch nicht auf die Nase binden. Schließlich hat er sich in den zurückliegenden Wochen des Shutdowns schon einige Male wildfremden Menschen erklären müssen, die ihn angesprochen haben, während er im Freien trainierte. „Als Kugelstoßer fällst du da natürlich anders auf als ein Sprinter“, sagt Zimmermann, der doch eigentlich gerade in Zypern sein sollte – im Trainingslager. Doch auch diese Reise ist abgesagt worden, so wie alle Wettkämpfe gecancelt oder verschoben wurden – von den Bayerischen Meisterschaften bis zu den Olympischen Spielen.
Wann es wieder weitergeht? Über diese Frage will sich Christian Zimmermann möglichst selten den Kopf zerbrechen, da es ja ohnehin nicht in seiner Hand liegt. Stattdessen trainiert er, vor allem Kraftaufbau – „meine alte Schwachstelle“, sagt er offen. So hat sich der Kirchheimer – als die Corona-Auszeit schon absehbar war – aus der Werner-von-Linde-Halle in München eine Hantelstange samt Gewichten mit nach Hause genommen, dazu eine zerschnittene Turnmatte sowie Streifen einer alten Tartanbahn. Aus alledem baute er sich eine „mobile Hebebühne“, wie er seine improvisierte Hantelbank nennt. Zunächst habe er sie auf dem Parkplatz vor dem Kirchheimer Sportplatz aufgebaut, später dann bei sich auf dem Balkon. „Man kann sich schon fit halten“, sagt er über die momentane Situation, „aber ideal ist das natürlich nicht“.
Nicht ideal ist auch die abgelaufene Hallensaison für Zimmermann gelaufen: Bei der Deutschen Meisterschaft blieb er mit 19,38 Metern unter seiner Bestmarke von 19,75 Metern und verpasste als Vierter eine Medaille. Jedoch sei sein Training auch ganz auf die Freiluftsaison ausgerichtet gewesen, betont der 25-Jährige – und auf den Traum von Olympia in Tokio. Dass die Spiele nun um ein Jahr verschoben worden sind, nennt Zimmermann „die richtige Entscheidung“ und „für mich nicht so schlecht“. Denn: „So habe ich ein Jahr mehr Zeit, um an meinem Drehstoß zu arbeiten und mehr Kraft aufzubauen.“
An Letzterem arbeitet der Kirchheimer jetzt also auf seiner mobilen Hebebühne. Ungleich schwieriger sei derweil die Suche nach einer geeigneten Fläche zum Stoßen gewesen. „Man braucht ja eigentlich nur einen geteerten Weg und eine ausreichend große Wiese, aber das musst du erst mal finden“, sagt Zimmermann. Er hofft nun, dass sich ein Landwirt oder sonst ein Grundbesitzer in Kirchheim findet, der ihn auf seiner Wiese trainieren lässt. Denn auch der Weg zwischen den Feldern sei „sicher keine Ideallösung“, sagt Christian Zimmermann – und denkt dabei sicher auch an den Ausflügler im Auto, der sein Training unlängst so jäh beendet hat.