Gepanzerte Limousinen düsen ans WEF - so sieht ihr Inneres aus

2022-05-28 04:41:27 By : Ms. Faith Ding

Am WEF sind sie besonders gefragt: gepanzerte Limousinen wie der Mercedes S680 Guard. Wir haben den «Tresor auf Rädern» in einer Probefahrt auf Herz und Nieren geprüft.

Auf den ersten Blick sieht die Limousine – die übrigens meist in Schwarz verkauft wird – aus, wie eine normale S-Klasse. Von normal darf man bei der rund 5,49 Meter langen Luxuslimousine in Überlänge durchaus sprechen. Zumindest in staatsmännischen Kreisen, denn hier ist die grosse Limousine von Mercedes seit Jahrzehnten das Mass aller Dinge. Auch, weil Mercedes eine lange Tradition von gepanzerten Fahrzeugen – oder wie es im korrekten Fachjargon heisst Sonderschutzfahrzeugen – vorweisen kann.

Seit 1928 baut Mercedes Fahrzeuge für Kunden, die besonderen Wert auf bestmöglichen Schutz legen oder gar müssen. Wer diese Kunden sind, woher sie kommen und wie viele «Sonderschutzfahrzeuge» genau verkauft werden, will Mercedes natürlich nicht verraten. Diskretion ist hier oberstes Gebot.

Und auch schon ein erster Sicherheitsfaktor des gepanzerten Mercedes S680 Guard: «Da sich der «Guard» aus der Ferne kaum von anderen Limousinen im Konvoi unterscheidet, ist er deutlich schwerer als Ziel auszumachen», erklärt Andreas Zygan, Entwicklungsleiter bei Mercedes, und er beschreibt damit auch gleich das übliche Einsatzszenario der gepanzerten Limousine. Wobei: Eigentlich müsste man eher von einem Panzer im Kleid einer Limousine sprechen.

Denn beim «Guard» wird bei weitem nicht «einfach» eine herkömmliche Limousine mit Panzerplatten und dickem Glas verstärkt, wie es bei nachträglichen Panzerungen ­gemacht wird. «Wir haben erstmals einen integrierten Ansatz gewählt», so Zygan. Heisst: Der «Guard» basiert auf einer eigenen Grundkonstruktion mit Panzerung. Die Optik der herkömmlichen Limousine wird quasi äusserlich angebaut. Das sorgt für noch bessere Sicherheit gegen Schusswaffen oder Splitter, gerade in Bereichen, wo die Türen an die ­Karosserie anschliessen. Es entsteht also eine lückenlose Panzerung, womit Mercedes als erster Hersteller die Schutzklasse VR 10 erreicht.

Die Panzerung widersteht auch grosskalibrigen Scharfschützengewehren oder Bomben aus bis zu 12,5 kg Plastiksprengstoff. Und trotzdem werden ­weder Platz­angebot noch Komfort nennenswert beeinträchtigt. Vom Edel-Soundsystem bis hin zur Mas­sa­ge­funk­tion sind fast alle Ausstattungen auch in der ­«Sonderschutz-Version» verfügbar. Das grosse Glas-Schiebedach ist natürlich nicht erhältlich. Auch auf das Head-up-Display muss der Chauffeur verzichten; das ist nicht mit den dicken Panzerscheiben kompatibel.

Auch wenn die Panzerung optisch gut versteckt ist, auf der Waage zeigt sie sich sofort: Allein die Panzerung des Unterbodens besteht aus vier Platten zu je 120 kg. Auch die Frontscheibe wiegt rund 120 kg, eine Seitenscheibe bringt gut 40 kg auf die Waage, weswegen spezielle, hydraulische Fensterheber nötig sind. Diese werden aber nur gegen Aufpreis verbaut, denn die Scheiben sollten für besten Schutz ohnehin geschlossen bleiben. Wollen Fahrer oder Passagiere mit Aussenstehenden kommunizieren, geschieht dies über eine Gegensprechanlage.

Auch zum Öffnen und Schliessen der knapp 200 kg schweren Türen gibt es auf Wunsch hydraulische Hilfe. So kann der Fahrer, der in der Regel auch Personenschützer ist, die Tür auch am Hang einhändig bedienen – und hat eine Hand für andere Aufgaben frei. Auch das kann im Ernstfall ein entscheidender Vorteil sein.

Ohnehin gibt es weit mehr zu bedenken, als «nur» die Schusssicherheit. So verfügt der Wagen unter anderem über ein Löschsystem im Unterboden und eine eigene Sauerstoffversorgung für den Fall eines Giftgas-Anschlages. Entfernt wurden hingegen die Online-Dienste des Infotainmentsystems, sodass keine Verbindung nach aussen besteht. Dafür werden auf Wunsch natürlich auch Blaulicht und Standartenhalter installiert. Insgesamt kommt der Panzerwagen auf ein Leergewicht von 4,2 Tonnen – gut das doppelte einer herkömmlichen Luxuslimousine.

Um diese Masse souverän und im Ernstfall auch schnell genug zu bewegen, ist ein potenter Motor nötig. Deshalb ist der S680 Guard eines der letzten Modelle von Mercedes, die noch von einem mächtigen 12-Zylinder-­Motor angetrieben werden. Aus sechs Litern Hubraum entstehen 612 PS und 830 Nm Drehmoment, die per 9-Gang-Automatik an alle vier Räder gelangen. Bei Bedarf sind 100 km/h nach 8,3 Sekunden erreicht, die Höchstgeschwindigkeit liegt, aus Rücksicht auf die Reifen, bei 190 km/h. Den Verbrauch gibt der Hersteller übrigens mit 18 l/100 km an. Zygan sagt:

Der mächtige Motor habe aber noch weitere Vorteile. So ist der Motorraum zwar nicht gepanzert; wird bei einem Beschuss aber eine Zylinderbank beschädigt, kann der Motor weiterhin auf sechs Zylindern arbeiten. Wird der Motor komplett zerstört, würden im Konvoi die nachfolgenden Fahrzeuge anschieben.

Was in einer solchen Extremsituation, die in der Regel nur ein paar ­Sekunden bis wenige Minuten dauert, alles passieren kann, ist nur schwer vorstellbar. Dass man im komplett von Hand gebauten Mercedes S680 Guard beste Voraussetzungen hat, fast alles unbeschadet zu überstehen, glaubt man aber sofort – spätestens wenn nach dem Einsteigen die Tür ins Schloss fällt.

Im ersten Moment am Steuer fällt vor allem auf, dass eigentlich nichts auffällt. Nur der Blick nach draussen wird an den Rändern der dicken Scheiben etwas verzerrt, ansonsten findet man typisches S-Klasse-Ambiente vor. Der fast lautlose Motor schiebt den Wagen ohne spürbare Anstrengung an und sogar die Lenkung geht gewohnt leichtgängig – obwohl allein auf der Vorderachse mehr als zwei Tonnen lasten.

Bei normaler Fahrt ist zwar zu spüren, dass der gepanzerte Mercedes schwerer ist – mehr als vier Tonnen würde man aber trotzdem nicht vermuten. Erst bei zügigerer Kurvenfahrt schafft es die Luftfederung nicht mehr, den Wagen gerade zu halten, und der Wagen drückt sich schliesslich in ein zartes Untersteuern. Genau so, wie gewollt, schliesslich soll die Staatskarosse kein wendiger Flitzer sein, sondern sich jederzeit sicher beherrschen lassen, um zügig aus dem Gefahrenbereich zu kommen. Auch dann, wenn die Reifen angeschossen wurden.

Ein Techniker lässt die Luft aus dem linken Vorderreifen ab, um genau das zu simulieren. Bis auf das Aufleuchten der entsprechenden Kontrolllampe im Cockpit macht sich das aber kaum bemerkbar. Der Reifen verfügt über eine Innenkonstruktion, die ihn auch ohne Luft noch sauber abrollen lässt, und wird zudem mit Stahlseilen auf der Felge gehalten. So kann man auch ohne Luft noch bis zu 30 Kilometer fahren.

Für Reparaturen und Wartungen hält Mercedes übrigens einen Pikettdienst von «Flying Doctors» bereit. Sie fliegen direkt zum Kunden – meist sind es Regierungen – und stellen sicher, dass der mindestens 457100 Euro teure Wagen ordnungsgemäss funktioniert. Auch das ist nicht bloss Prestige, sondern notwendig. «Alles geht bei diesem Auto um diesen einen Moment, wo es das Leben retten kann. Ohne den schicken Sportwagen in der Garage kann man gut ein paar Tage überleben. Aber hier sieht es vielleicht anders aus», so Zygan.