„Ein kleines Wunder“

2022-08-26 21:00:51 By : Mr. Mao Matthew

Tomas Sarina aus Neuburg gewinnt den Titel eines Europameisters

Ein mächtig stolzer Tomas Sarina: In den Händen hält er die Bestätigung, dass er künftig als Profi auftreten darf, was etliche Vorteile mit sich bringt. Am Ziel seiner Wünsche ist er freilich noch nicht: Er will Weltmeister werden – in fünf Jahren. Foto: WFF

Neuburg – Manchmal ist Tomas Sarina so müde und erschöpft, dass er sich, auf der Couch oder auf dem Sofa liegend, nur noch auf seine Atmung konzentriert und sonst kaum mehr einen Finger bewegen kann. Ein Außenstehender mag das kaum glauben, denn der 40-Jährige ist ein austrainierter, muskelbepackter Bodybuilder, seit kurzem Europameister in seinem Sport und Profi. Darauf ist der gebürtige Slowake außerordentlich stolz – es ist der Lohn für die Schinderei und die Entbehrungen, die er für den Erfolg in Kauf nimmt, in Kauf nehmen muss. Denn der EM-Titel soll nicht das Ende der Fahnenstange sein. Das erklärte Ziel: die Weltmeisterschaft. Auch wenn bis dahin noch ein weiter Weg ist. Sarina hat als Jugendlicher mit Bodybuilding angefangen. Rasch stellten sich Erfolge ein, doch dann konzentrierte er sich auf sein Abitur und den Beruf bei Spezialkräften des Grenzschutzes. Vor zehn Jahren ging er nach Deutschland; er arbeitet beim Landratsamt Neuburg-Schrobenhausen als Chauffeur von Landrat Peter von der Grün. Das Bodybuilding ließ den Mann mit dem eisernen Willen dennoch nicht los. Vor zwei Jahren begann er wieder mit dem Training und holte sich 2021 den Deutschen Vizemeister- und den Deutschen Meistertitel in zwei verschiedenen Kategorien. Das gab Sarina Auftrieb für höher gesteckte Ziele, die er nun mit dem Europameistertitel und dem Profistatus erreicht hat. Dabei waren die Vorzeichen alles andere als günstig. Im Dezember verletzte sich Sarina die Schulter. Er hatte dort kein Gefühl mehr, konnte den linken Arm nicht mehr heben und suchte die Notaufnahme im Krankenhaus auf; ausgerechnet er, der sonst praktisch nie zum Arzt geht. Trotzdem trainierte er weiter; schließlich musste er im Februar mit seiner Diät beginnen. Sein Arm besserte sich. Dann kam der nächste Rückschlag in Gestalt einer Corona-Erkrankung. Da er die entsprechenden Geräte zu Hause hat, konnte der 40-Jährige weitertrainieren. Zunächst widmete er sich dem Deutschen Titel, dann der Tschechischen Meisterschaft, die von der National Amateur Bodybuilder’s Association (Nabba) ausgerichtet wird. Hier holte Sarina ebenfalls den Titel. Dann stand die EM der World Fitness Federation (WFF) auf dem Programm, die in Deutschland ausgetragen wurde. Hier startete der Wahl-Neuburger in der schweren offenen Klasse „Extrem Body“. Diese Wahl war nicht zufällig, denn der 40-Jährige ist relativ klein – 1,69 Meter – und relativ schwer – auf der Bühne wog er 93 Kilogramm. Da bleibt keine andere Kategorie übrig. Seinen Erfolg beschreibt Sarina als „kleines Wunder“, denn er war tatsächlich der Kleinste. „Als ich die anderen sah, dachte ich, was tue ich da?“, schildert der Bodybuilder die Situation. Sein direkter Konkurrent, der spätere Zweitplatzierte, war rund 10 bis 20 Zentimeter größer und 15 Kilogramm schwerer. „Aber ich war hervorragend vorbereitet.“ Und trotz voller Bühne setzte er sich durch. Acht Pflichtposen gibt es. Die Wertungsrichter können einzelne Athleten und Gruppen von ihnen nach vorne holen, um einen besseren Vergleich zu haben. 40 Minuten am Stück mussten die Bodybuilder auf der Bühne ihr Bestes geben; die Muskelanspannung über einen längeren Zeitraum zu halten, ist überaus anstrengend. Schließlich hielt Tomas Sarina die ersehnte Trophäe in der Hand und hatte plötzlich die Möglichkeit, ins Profilager zu wechseln. Lange musste er nicht überlegen und nahm den entsprechenden Ausweis entgegen. Bis zu diesem Zeitpunkt, nur für ein paar Stunden, war der gebürtige Slowake sogar Mitglied des Deutschen Nationalkaders. Als Profi musste er die Truppe wieder verlassen. „Aber die Jacke habe ich noch und trage sie mit Stolz“, versichert Sarina. Was ihn zusätzlich freut: „Der Zweite wurde etwas später in Mexiko bei einem anderen Verband Weltmeister. Ich habe also den Weltmeister besiegt.“ Als Profi genießt man etliche Vorteile: Rund 20 Wettkämpfe werden pro Jahr angeboten, Vier bis fünf davon will sich Sarina aussuchen und dabei interessante Länder bereisen, Mexiko etwa oder Vietnam. Außerdem muss man sich nicht mehr für Meisterschaften qualifizieren − man meldet sich an und ist das – und man braucht keine Anmeldegebühren mehr bezahlen. Der finanzielle Aspekt spielt beim Bodybuilding und bei Sarina einen nicht zu unterschätzenden Aspekt: Geld gibt es nicht viel zu verdienen. Nur die vielleicht zehn Weltbesten können über Sponsoren oder als Werbeträger nennenswerte Summen einstreichen. Alle anderen müssen eigenes Geld in ihren Sport investieren. Die Lebensmittelpreise etwa merkt Sarina derzeit deutlich. „Ich kaufe immer dasselbe und es wird immer teurer.“ Sein Eiklar bezieht er jetzt in Portugal. Das ist trotz der langen Lieferkette günstiger, als hier in Deutschland zu ordern. Während der Aufbauphase benötigt Sarina das Eiweiß von 40 Eiern – täglich. Während der Wettkampfphase sind es immer noch 20 Eier. Dazu viel Geflügel und in bestimmten Phasen auch Rindfleisch. Fisch kommt selten auf dem Teller, wenn, dann Lachs, wegen des Fettgehaltes. Dabei gilt es eine extreme Diät über einen längeren Zeitraum aufrecht zu erhalten. Derzeit bringt Sarina in der Aufbauphase 111 Kilogramm auf die Waage und muss sich zum Wettkampf auf 93 Kilogramm herunterhungern. Künftig will er die Werte nach oben ziehen, auf 115 Kilogramm in der Aufbauphase, von denen 95 Kilogramm auf der Bühne übrig bleiben sollen. Dabei heißt es Kalorien zählen. In den letzten zwei Wochen vor dem Wettkampf sind es 1200 Kalorien, die er zu sich nimmt. Zum Vergleich: Normal wären 2000 bis 2400 Kalorien, mindestens. „Der Kopf will etwas zu essen, vor allem Zuckerhaltiges, die Zunge und der Magen schreien danach“, beschreibt Tomas Sarina diesen Zustand. „Ich bin hungrig, nervös, schwach.“ Er darf aber nicht nachgeben. Also: „Ich rede fast nicht mehr. Jeder Schritt kommt mir schwer.“ Das Problem: Eigentlich greift der Körper seine letzten Fettreserven zuletzt an; sie will er für Notzeiten behalten. Lieber baut er Muskelmasse ab – das Gegenteil, was beim Bodybuilding erwünscht ist. Also müssen Sarina und seine Kollegen einen ständigen Kampf gegen die Natur des Körpers führen. Dabei trainiert der 40-Jährige hart. 650 Kilogramm stemmt er mit den Beinen während der Aufbauphase. In der Wettkampfphase ist es zwar „nur“ die Hälfte, aber hier ist die Frequenz höher und intensiver. Auch die Arme wollen beschäftigt sein. Das Studio Clever Fit, das ihn unterstützt, hat jetzt für ihn 60-Kilo-Hanteln bestellt. Die 50er, die er bisher benutzte, sind ihm zu leicht geworden. Die Plagerei ist noch nicht beendet. Heuer stehen noch zwei Wettkämpfe an: am 9. Oktober in Prag und am 29. Oktober der World Cup in Kulmbach. Wenn die vorbei sind, ist erst einmal Pause. Sarina räumt ein, dass diese letzten Wochen enorm schwierig sind. Er hat dann fast neun Monate seine harte Diät gelebt. Und bald danach geht es weiter. Mit seiner besten Performance rechnet Sarina mit Mitte 40. Dann will er nach der Weltmeisterschaft greifen und um Universe-Titel mitmischen. Doch warum tut er sich das an? Geld gibt es kaum zu verdienen, dafür ist die Schinderei ziemlich mörderisch. Sarina kann es schwer in Worte fassen: „Ich bekomme etwas, was man für Geld nicht kaufen kann.“ Es ist wohl das Hochgefühl der Selbstbeherrschung und die Befriedigung, sich selbst überwunden zu haben. Und natürlich die Gewissheit, ein Champion zu sein, vielleicht in einigen Jahren Weltmeister oder gar Mr. Universe. Bis dahin gilt: „Je schlimmer du dich fühlst, desto besser wird die Performance.“

Volle Bühne bei den Europäischen Meisterschaften: Bei Internationalen Wettbewerben müssen die Athleten nicht nur die Pflichtposen zeigen, von denen es acht verschiedene gibt. . Bei der EM trat Tomas Sarina (3. v. r.) in der schweren offenen Klasse an. Foto: WFF