Taliban-Propagandavideos: Merkwürdige Inszenierungen in Vergnügungsparks und Fitnessstudio - DER SPIEGEL

2022-05-21 01:25:21 By : Ms. Murphy Jiang

Es sind die womöglich bizarrsten Bilder aus Afghanistan: In den vergangenen Tagen tauchten Videos von Taliban-Kämpfern in Vergnügungsparks in den sozialen Medien auf. Diese Aufnahmen sollen kurz nach Einnahme der Stadt Herat entstanden sein – und diese direkt nach der Machtübernahme in Kabul. Die Botschaft: das Leben im neu angekündigten »Islamischen Emirat Afghanistan« ist voller Vergnügen – inklusive Eis am Stiel.

Christoph Reuter, DER SPIEGEL »Ganz viele von diesen Kämpfern kommen aus irgendwelchen tristen, staubigen Dörfern vom Lande. Die haben noch nie in ihrem Leben einen Autoscooter gesehen. Die sind noch nie Karussell gefahren. Soweit wir das beurteilen können, waren das durchaus menschliche, normale Regungen, die stattgefunden haben. Dass die Taliban das jetzt promoten und solche Videos als sozusagen das neue offizielle Bild verbreiten, das ist natürlich Propaganda, aber deswegen ist sie nicht falsch.«

Ebenso wenig Fake wie der Spaß am Karussellfahren war die Freude beim Vorfinden riesiger Mengen von militärischem Arsenal auf dem Vormarsch. Wer nahezu stündlich die Entwicklung des Vorrückens der Taliban beobachten wollte, konnte das zum Beispiel über Twitter tun. Zuständig für internationale Kommunikation sind Taliban-Sprecher Suhail Shaheen, der über Twitter derzeit für eine Dauerbeschwichtigung der Lage zuständig ist – sowie der zweite Chef-Twitterer, Zabihullah Mujahidi. Dieser hatte seinen ersten großen öffentlichen Auftritt an Tag eins nach der Machtübernahme, abgehalten im Stil einer absolut gewöhnlichen Pressekonferenz. Seine wichtigste Botschaft:

Zabihullah Mujahid, Taliban-Sprecher »Ich möchte Sie daran erinnern, dass wir allen vergeben, denn es geht hier um Frieden und Stabilität in Afghanistan. Allen Gruppen, die gegen uns waren, wird vergeben.«

Zabihullah Mujahid, Taliban-Sprecher »Die Regierung wird bald loslegen und alle Angestellten, inklusive Frauen, sollen wieder anfangen zu arbeiten – in Bereichen, die mit der Scharia im Einklang sind.« Frauen und Mädchen werden in Auftritten und Veröffentlichungen der Taliban gezielt eingesetzt. Diese Szenen wurden in Kandahar gedreht und unter der Rubrik »das normale Leben kehrt zurück« veröffentlicht. Es ist ein klassisches Propaganda-Sujet: Das kleine Mädchen darf dem Kämpfer Essen bringen. Besonders überzeugend ist es nicht umgesetzt, aber die Intention wird deutlich. Die Anführer von heute wollen gerne rüberbringen, dass sie sehr viel progressiver sind als die Taliban von einst. Dass sie liberaler in ihrer Einstellung zu Frauen sind, wollten sie bereits mit diesem historischen Auftritt unter Beweis stellen: Erstmals ließ sich ein Taliban-Kommandeur von einer Frau im Fernsehen interviewen.

Christoph Reuter, DER SPIEGEL »Was die Taliban beherrschen, was sie meisterhaft beherrschen mittlerweile, ist opportunistische Disziplin, genau das zu tun, was die Führung – bislang in Katar, jetzt im Präsidentenpalast in Kabul - als für richtig erachtet. Sei es afghanische Soldaten umbringen, afghanischen Soldaten anbieten, sie nicht umzubringen, sondern ihr kriegt Brot und Wechselkleidung; Amerikaner umzubringen, nicht mehr umzubringen. Oder eben jetzt, seit Sonntag und in Maßen auch schon vorher: Der Welt und auch den Afghanen, denen zu versichern: Ist alles nicht so schlimm. Bleibt eigentlich alles, wie es ist. Es wird total ruhig und wir wollen ja nur, dass die Rechte des Bürgers geschützt werden. So eine Art Schülerlotsen mit Bart. Das heißt aber natürlich nicht, dass es auch so bleiben wird, weil zu diesem Richtungswechsel sind sie auch in einem Monat wieder imstande. Und dann kann es gut sein, wenn die letzten Amerikaner vom Flughafen abgezogen wurden, wenn der Westen sie anerkannt hat, was wahrscheinlich passieren wird, und wenn sie wirklich das ganze Land im Griff haben, dass sie dann Rechnungen begleichen, die sie jetzt noch nicht begleichen.« Die notwendigen Begleitbilder für einen möglichen Richtungswechsel sind schon produziert. Das »Al-Emara Studio« ist eine weitere Medienanstalt der Taliban. Sie veröffentlicht diese Videos, ganz im klassischen Al-Qaida-Stil. Man wähnt sich im Dschihad wie vor 20 Jahren – noch nicht einmal der Soundtrack hat sich seitdem verändert. Der Unterschied zu den verniedlichenden Bildern, welche vor allem für die westlichen Beobachter zur Schau gestellt werden, könnte krasser nicht sein. Für sie gab es direkt nach der Machtübernahme eine weitere skurrile Darbietung: So zeigten sich die Taliban-Kämpfer im Fitnessraum des kürzlich eroberten Präsidentenpalastes in Kabul. Ganz fröhlich – und ganz und gar harmlos.

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